Polnische Zwangsarbeiter in Kreuz während des Krieges

Auszüge zum Lesen

Helena Bartnicka

Hitler kam, und schon ging ich nicht mehr zur Schule und ein halbes Jahr später wurde ich nach Deutschland zur Arbeit gebracht, auf einen Bauernhof. Man musste Kühe melken, den Schweinen Futter in Eimern bringen. Ich war Kind und konnte nichts heben, ich hatte es sehr schwer. Aber irgendwas konnte ich auf dem Bauernhof machen, weil ich das gelernt hatte. Die Deutschen waren gut. Ich hungerte nicht, das war das einzige Gute. Und so wurde ich zur Arbeit gebracht: Vater brachte mich mit dem Fuhrwerk bis nach Lubs (Lubcz). Da ist so ein Friedhof an der Straße, die nach Filehne (Wieleń) geht. Nach Lubs, von hier, aus Fissahn (Wizany) kam dieser Landwirt mich holen. Als wäre das alles gestern gewesen, was man gemacht hat, so gut erinnere ich mich! Ich habe vor Tränen nichts mehr gesehen, und wie Vater abgefahren ist, weiß ich selbst nicht. Für mich ist doch eine Welt zusammengebrochen, ich wusste nicht mehr, wo ich bin, als sie mich da mitgenommen haben. Das kann man einfach nicht erzählen. Kindlicher Verstand war das noch. Von da haben sie mich den Eltern fortgerissen. Aber irgendwie ging ich dahin und habe überlebt. Und irgendwie haben wir uns da verstanden, mit den Deutschen, weil arbeiten, das konnte ich ja. Da war noch ein Pole zur Arbeit. Wir haben immer ein bisschen geredet. Deutsche Jugendliche gab’s dort im Krieg nicht, die waren alle von Hitler eingezogen. Da auf den Gütern hatten sie keine Leute. Das haben alles die Polen gemacht.

Helena Bartnicka

Der alte Vater war sehr gut zu mir, oh, wie gut war er! Wenn ich da irgendwas konnte, da kam er zu mir und steckte mir immer zwei Mark in die Tasche. Und als er starb – er ist vom Fuhrwerk gefallen, konnte er nicht mehr sprechen. Und da kam ich von oben runter und er zeigte mit der Hand, dass man mich holen sollte. Ich kam, ich hatte ein Tuch, so wie man sich das um den Kopf wickelte, und er hat es an sich gedrückt, mich an seinen Lippen gedrückt und redete. Und die Deutschen haben sich vorgebeugt, konnten aber nichts verstehen, was wollte er mir noch sagen? Er mochte mich sehr, der Opa, wie sie ihn nannten, der Großvater. Er mochte mich, weil ich alles konnte. Weil ich so arbeitsam war – wenn man Holz hacken musste und alles, und Kühe melken, und … Ich habe da alles gemacht.

Aleksander Mądrawski

Als ich in Filehne (Wieleń) zur Schule ging, gab es in der Nähe der Schule eine Seidenspinnerzucht. Dorthin gingen wir gern, um Maulbeerblätter zu sammeln, und ein Deutscher gab uns immer 10-20 Pfennige. Und als ich schon 14 Jahre alt geworden war, nahm man mich im 15. Lebensjahr vom Arbeitsamt aus mit nach Kreuz (Krzyż). Ich arbeitete auf einem Schlachthof, bei einem Fleischer. Ich brachte das Vieh zum Schlachthof. Dort bekam ich sehr gutes Essen, das Essen war gut. Das war schwer - schließlich herrschte Krieg. Aber die Wurstenden wurden – nicht so wie heute – mit der Schnur dran abgeschnitten. Und von diesen Wurstenden hatten wir ganze Teller voll; wir konnten so viele essen wie wir wollten. Und es war gutes Essen. Wir wohnten auch nicht am schlechtesten. Oben hatten wir ein Zimmer; wir waren zu dritt, später zu zweit, weil man einen später zu einer größeren Arbeit mit nach Deutschland nahm. Er war schon älter. Und wir hatten zu zweit unser warmes Zimmer, das im Winter beheizt wurde, zu essen, serviertes Abendessen und eine große Kanne Kaffee mit Milch. Nur, dass ich früh aufstehen musste, um unter den Kesseln Feuer zu machen, weil um sechs Uhr die Gesellen aus Drahzig (Drawsko) kamen, aus Polen. Sie mussten arbeiten und das Pferd füttern. Und als sie bereits da waren, fuhr ich raus, um wieder das Vieh herbeizuschaffen. Dort, wo jetzt das allgemein bildende Gymnasium ist, war ein Militärhaus; dorthin brachte ich Proviant aus der Metzgerei.

Aleksander Mądrawski

Im Winter, Anfang 1945, standen die Russen zunächst vor Filehne (Wieleń) und nahmen bereits Deutsch-Filehne (Wieleń Północny) unter Beschuss. Man hörte es schon, es war Anfang Januar, sie beschossen da schon Kreuz (Krzyż). Die Netze (Noteć) war zugefroren, so dass sie sie normal überquerten. Panzer tauchten auf und zogen wieder ab, aber in Kreuz (Krzyż) waren sie noch nicht. Sie rollten hier erst so ungefähr Mitte Januar ein. Und die polnische Armee zog gemeinsam mit ihnen durch Drahzig (Drawsko), teilweise auch durch Kreuz. Und natürlich die Russen. Sie verloren hier zwei Panzer, und die Deutschen zogen sich nach Westen zurück. Diejenigen, die es rechtzeitig schafften, denn nur wenigen schafften es rechtzeitig. Die Russen töteten sie auf der Stelle. Der letzte Zug für Deutsche in Richtung Westen fuhr vielleicht an Heiligabend. Die Züge brachten die Deutschen fort. Und der Rest: wer was hatte und konnte, der flüchtete. Ob jemand hier geblieben ist? Ich kann mich nicht daran erinnern, nicht viele von ihnen blieben. Aber sie kamen unterwegs um, weil sie nicht rechtzeitig flüchten konnten. Diejenigen, die sich nicht beeilten – unterwegs erledigten die Russen sowieso alle. Die Familie, für die ich arbeitete, fuhr erst sehr spät fort. Denn er konnte als Fleischer nicht flüchten, er musste das Krankenhaus versorgen. Das Krankenhaus wurde aufgelöst und erst dann flüchtete er, zu Pferde. Er ist nicht weit gekommen, da ihn Panzer zerquetschten. Sie kamen vor der deutsch-polnischen Grenze in Hochzeit (Osieczno) um, die gesamte Familie;  russische Panzer überrollten sie. Es war dort alles gesperrt, die Straßen waren nur für die Armee frei und die Russen überfuhren, zerquetschen sie alle. Sie scherten mit den Panzern auf der Straße nicht aus, sie fuhren. Das habe ich von Bekannten erfahren. Aber es gibt auch solche, die geblieben sind. Sie nahmen die polnische Staatsangehörigkeit an und blieben. Ein gewisser Zagert, der hier im Kreis einst der beste Landwirt war. Sie haben ihn ausgezeichnet. Gänse, Vieh – von allem hatte er eine Menge. Als er von der Flucht zurückkehrte, gab es keine Maschinen mehr, nichts war vorhanden. Aber als er kam und sagte, dass er hier bleiben möchte, hat die Polizei alle Maschinen, die er als die seinigen erkannte, den Polen weggenommen und ihm zurückgegeben. Weil er einst der beste Landwirt war.

Leon Lala

Wenn mich auf dem Weg von Kienwerder (Brzegi) nach Drahzig (Drawsko) solch junge Deutsche erwischt hätten, dann hätten sie mich zusammengeschlagen. Denn solche Jungen, oh, die sind auf die Polen los, solche Hitlerjungen, das waren solche Bengels, dass… Aber ich bin nicht durch die Stadt gefahren, sondern von Kienwerder über Lukatz, und da erst über die Netze, und da war’s schon ruhig. Aber hier durch die Stadt hatte ich Angst zu fahren. So ein „P“ habe ich hier auf dem Bild, dieser gelbe, auf die Kleidung genähte Buchstabe bedeutete, dass das ein Pole ist. Denn wenn ich hier in die Stadt ging, oder sonstwas, dann musste ich das „P“ auf der Kleidung haben, „P“ wie Pole. Oft haben uns diese Jungen gekriegt… Ich erinnere mich, dass wir einmal ins Kino gegangen sind, da haben sie nachher nach dem Film gejagt, denn sie wussten schon, dass da Polen sind.

Leon Lala

Hier in Kreuz war ein Lager, aber kein großes. Dort, wenn man an der Möbelfabrik vorbeigeht, zu deutscher Zeit war da einst eine Stärkefabrik. Und sie haben da alle in dieser Stärkefabrik gearbeitet, diese Gefangenen, und wohnten in so einem Gefängnis, in einem Haus am Ende dieses Betonzauns. Aber das war ein Gefängnis für Russen. Denn hier waren auch noch Amerikaner und Franzosen, gleich bei der Stärkefabrik waren auf der anderen Seite zwei solche Baracken, und da waren Amerikaner und Franzosen. Nur, dass diese Amerikaner nicht arbeiten brauchten. Die Amerikaner waren überwiegend Piloten. Ich erinnere mich, dass 1944, an Pfingsten, die Amerikaner Schneidemühl bombardierten, den Flughafen in Schneidemühl. Ich trieb gerade die Kühe raus. Das war wohl ein Sonntag, oder irgendein Feiertag, und ich trieb gerade die Kühe raus, und Flugzeuge flogen in Richtung Schneidemühl. Es waren vielleicht 20 Flugzeuge, Bomber, wohl zwei Geschwader, und dann über ihnen diese Jagdflieger, die sie deckten. Und nach einer Stunde, anderthalb, flogen sie zurück, und das am Tage, gegen drei Uhr, halb vier nach dem Mittagessen. Ich erinnere mich, dass dieser Förster, auf dessen Hof ich war, gerade auf Urlaub war. Ich brachte Ferngläser, da haben wir uns das angesehen. Und die sind normal geflogen, überhaupt nicht hoch. Und später im Lager – diese Amerikaner brauchten nicht arbeiten, ich habe immer gesehen, dass sie sich auf Decken sonnten. Die Franzosen haben wohl gearbeitet. Die Russen mussten wie Pferde arbeiten, so hart mussten sie arbeiten. Sie haben da so Wagen gezogen, solche schweren, was einst Pferde gezogen haben, das haben sie da zu mehreren gezogen. Im Betrieb mussten sie alles machen. Ich weiß das, weil da im Magazin mein Onkel aus Drahzig arbeitete, in der Stärkefabrik, ich war da oft bei ihm, habe ihm Essen gebracht. Und die Amerikaner, wenn die nach Drahzig kamen, dann elegant angezogen, und gingen so durch das Dorf, und so ein Wächter hinter ihnen her, so ein älterer, denn die Älteren waren mehr vor Ort, und diese Jüngeren mehr in der Armee. Und sie, wo sie hin wollten, da gingen sie hin, und er hinterher. Ins Restaurant gingen sie, breiteten alles auf dem Tisch aus, Schokolade, Bonbons, Zigaretten, haben den Leuten noch was angeboten, den Polen. Doch die Polen hatten Angst ins Restaurant zu gehen, denn die Polizei kam sofort.

Leon Lala

Niemand hat gefragt, ob man gehen will, ob du alt genug bist, oder nicht. Als wir in der Schule waren, kamen sie vom Arbeitsamt aus Kreuz, und nahmen das Klassenbuch, vom Lehrer. Und da war in dem Klassenbuch, „dann und dann geboren“, jeder Schüler war im Klassenbuch. Aha, der ist keine zehn Jahre alt, und der Lehrer sagt: „Aber er wird so alt, er ist es nicht, aber er wird es sein.“ Da haben sie mich gleich auch auf die Liste gesetzt, sie sagten, dass ich alles nach Hause bringen soll, die Hefte, und dass ich gleich wieder zurück sein soll. Und schon ab nach Kreuz. Wir gingen ins Arbeitsamt, und die Landwirte warteten schon auf uns. „Diese hier, diese hier.“ Jeder nahm sich einen Arbeiter, wir waren zu elft dorthin gebracht worden. Na, und mich nahm da auch so eine Frau. Und nicht weit von ihr war mein Bruder, und als er damals erfuhr, dass sie uns zur Arbeit nehmen, da sagte er ihr schon, wenn sie dorthin gehe, dass sie den und den nehmen soll. Sie hatte schon Bescheid gegeben, angerufen, denn sie hatten dort ein Telefon in der Försterei, sie rief dieses Arbeitsamt an, dass wenn Lala kommt, dass sie ihn für sie lassen sollen. Damals, als sie uns hereinführten, aufstellten in diesem Raum, fragten sie gleich: „Lala, wer ist das?“ Auf Deutsch: „Lala, wer ist das?“ Ich sage: „Das bin ich.“ Sie soll an der Seite stehen. Und da nahmen sie, diese Landwirte, die anderen und nicht mich. Aber sie kam dann auch gleich, unterschrieb und nahm mich, wir fuhren in die Försterei, durch den Wald, da am Friedhof entlang. Sie nahm mich auf dem Fahrrad mit, auf dem Gepäckträger, und wir fuhren los. Und die Frau war jung, 24 Jahre alt, denn sie hatten erst vor vier Jahren geheiratet, in der Försterei.

Zofia Zurman

Während des Krieges gingen wir immer nach Kreuz. Die Eltern mussten einen Passierschein haben und wir gingen da einfach so hin, um Petroleum zu holen oder was anderes. Mein Vater war Schneider, da hatte ich so ein Geschäft in Kreuz ausgewählt, wo es so Seide gab, Tücher, so was, da bin ich immer hingegangen und sagte: „Gute Frau, würden Sie mir nicht Zwirn geben, denn mein Vater ist Schneider und würde es zum Schneidern brauchen.“ Immer hat die Deutsche mir’s gegeben! Einmal gab sie mir weißes, ein anderes Mal schwarzes… Und mein Vater hat später auch hier in Kreuz gearbeitet. Vor der Post ist so ein kleines Haus, da in der Mitte, wo das neugebaute ist, da wohnte so ein Hödke und er hat Vater eingestellt, und Vater arbeitete. Denn obwohl er schneidern wollte, waren doch Zwirn, alles nur auf Karte, nichts konnte er bekommen, also hat er während der Besatzung hier in Kreuz gearbeitet. Sie haben ihn dafür bezahlt, das waren sogar gute Leute. Ich kam hier oft zu Papa, da hat die Frau Tee gemacht, gab irgendwelche Kekse oder irgendwelches Gebäck, denn sie konnten, hatten mehr, bei uns gab’s das nicht.