Geb. am 15. Juni 1931 in Komorniki bei Lwów (Lemberg), heute Ukraine. Seine Eltern besaßen einen Bauernhof. Der Vater war gesellschaftlich engagiert und Gründer einer Bauernorganisation. Vor Kriegsausbruch schloss Mirosław Ilnicki die erste Klasse der polnischen Volksschule ab. Im Juni 1944 wurde der elterliche Hof von Ukrainern niedergebrannt, die Familie zog zu Verwandten des Vaters in eine Stadt. Anschließend deportierten die Deutschen sie nach Ungarn zur Zwangsarbeit. Im Mai 1945 siedelten sie sich im Zuge der „Repatriierung“ in den „Wiedergewonnenen Gebieten“ an und ließen sich auf einem Bauernhof in Szklana Huta (Glashütte) bei Krzyż (Kreuz) nieder. Ein Jahr lang Mirosław Ilnicki besuchte die Grundschule, brach sie dann ab und arbeitete auf dem elterlichen Hof, den er mit der Zeit übernahm. In einer Abendschule erlangte er die Grundschulbildung und im „Fernstudium“ die mittlere landwirtschaftliche Ausbildung. Er wohnt weiterhin in Szklana Huta. |
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Auszüge zum LesenDie Reise sah so aus, dass wir zu 20 Personen in einem nicht großen Güterwaggon fuhren. Einige waren mit ihren Möbeln unterwegs, mit dem ganzen Hausrat. Der Waggon war voll. Das Dach war flach, so dass auf dem Dach Matratzen befestigt waren, und auf dem Materatzen hat man geschlafen. Man musste liegen, denn wenn man sich aufgerichtet hat, dann hätte man an einer Brücke hängen bleiben können. Als der Zug fuhr, gab es solche Vorfälle. Wenn man lag, war’s in Ordnung. Ich erinnere mich, dass ich so ein paar Nächte geschlafen habe, mein Bruder schlief auch so. Es war schwer, aber trotz allem fuhr man. Vielleicht etwas zu lange, denn ständig hielten wir irgendwo, denn damals fuhren noch Transporte aus Polen und aus Deutschland Richtung Osten. Die Reise war deswegen stark erschwert, oft stand man auf Nebengleisen. Nie wusste man, wie lang man steht, man kam auf einen Güterbahnhof oder auf ein Nebengleis, und man stand eine Stunde, oder zwei, oder einen Tag, niemand konnte sagen, wie lange der Zug auf dem Nebengleis stehen wird, ehe er weiterfährt. Eine Unmenge Insekten war im Zug, und es gab nichts, womit man sie hätte bekämpfen können, denn es gab nichts, wo man hätte Wasser kochen und sich waschen können. Selbst an Trinkwasser mangelte es oft. Von Essen würde ich gar nicht erst sprechen, denn zu essen gab es manchmal nur einmal am Tag, und dann nicht viel, denn nirgendwo konnte man was her bekommen. Eigene Vorräte hatte man nicht, wie viel Brot kann man auch in der Sommerzeit auf Vorrat haben, an heißen Tagen im Zug? Man konnte keine Vorräte machen. Man hat einfach Hunger gelitten. Um ans Ziel zu kommen, haben wir Hunger, Durst und Schmutz erlitten.
Gegenüber deutschen Sachen, deutschen Gegenständen und sogar deutschen Gebäuden herrschte unter den Menschen eine feindselige Stimmung. Wir haben hier eine Kirche, die 1774 errichtet wurde, das war eine evangelische Kirche. Im Inneren waren ein Altar und zwei Sitzreihen, denn das war eine gemeinsame Kirche für Glashütte (Szklana Huta) und Fissahn (Wizany). 1945 und 1946 trafen hier Leute aus den Gegenden ein, aus denen ich stamme, und zudem aus den Gegenden von Stanisław (Stanislau), Tarnopol, Wolhynien, Weißrussland, Litauen, Kraków (Krakau), Warszawa (Warschau) und Poznań (Posen). So eine Ansammlung von Menschen – und alle waren gegen diese deutschen Einrichtungen. Obwohl es historische Architektur war, hat sie keiner beachtet. Übrigens hatten die Leute davon auch keine Ahnung. Jeder wollte einen Teil seiner Kirche, von woher er stammte, hierhin verlegen. Das, woran er sich erinnerte, wie es dort war, wollte er hier in dieser Kirche einrichten. Jeder wollte etwas von sich einbringen. Alles in allem haben sie diese Kirche so umgearbeitet, dass sie ganz anders aussah als vor dem Krieg. Als wir ankamen, waren in Szklana Huta (Glashütte) noch acht deutsche Familien, Landwirte, die hier vor dem Krieg gewohnt hatten. Von vielen wurden die Deutschen sehr schlecht behandelt. Es gab Menschen, die haben sie menschlich behandelt, fast als Ebenbürtige. Aber es gab auch solche, die die Deutschen sehr schlecht behandelt haben, sehr feindselig, die Deutschen mussten also ausreisen, es gab keine andere Lösung. Es gab nicht die Möglichkeit, dass sie hier blieben, sie waren einfach in Gefahr. Sie sind 1946 ausgereist, ihren Platz haben sofort Polen eingenommen. Sogar hier in der Nachbarschaft gab es einen Fall, dass ein Pole ein Haus besetzte, den Deutschen hinauswarf, und alles selber übernahm, zusammen mit den Töpfen, die gerade auf dem Herd kochten. Hier wohnte zum Beispiel so ein Deutscher, der Tierarzt war, ein wohlhabender Landwirt. Er hatte sämtliche Gerätschaften, Maschinen. Er war schon ein älterer Herr, über 50 Jahre alt. Die Frau war auch älter, er hatte einen Sohn und die Tochter lebte mit ihnen. Der Landwirt, der auf seinen Hof kam, ging mit ihm sehr unmenschlich um. Er stand morgens auf, zog weiße Handschuhe an, die Peitsche in der Hand, und verteilte die Arbeit, was sie tun sollten. Zum Antreiben bekam jeder einen verpasst. Er kehrte nach Hause zurück und legte sich schlafen, denn oft schaute er in die Flasche, und die Deutschen mussten arbeiten. Bei sich zu Hause so gedemütigt zu werden, das ist sehr bitter. Die Deutschen haben hier alle landwirtschaftlichen Maschinen zurückgelassen. Die Polen haben das alles vorgefunden – und die Russen haben’s mitgenommen. Gleich nach der Ankunft haben sie alle größeren Maschinen weggenommen, ganze Fabriken haben sie mitgenommen. In Krzyż (Kreuz) gab es eine Stärkefabrik, da, wo jetzt die Möbelfabrik ist, da war ein Verarbeitungsbetrieb für Kartoffeln. Die Russen haben alle Maschinen ausgeführt, und die Gebäude brannten sie nieder. Das war schon 1945, gleich hinter der Front. Sie haben nichts zurückgelassen. Das gesamte Getreide haben die Russen von den Feldern abgeerntet. Sie haben es gedroschen, in Waggons verladen und abtransportiert, nur das Stroh ließen sie zurück. Den Polen ließen sie überhaupt nichts, keine Saat, überhaupt nichts. Das Vieh trieben sie nach Russland. Wenn es weit war, haben sie es in Waggons verladen, wenn es näher war, trieben sie zu Fuß, Schafe, Rindvieh und Pferde. Alles haben sie nach Osten getrieben. Die Sowjets waren hier zwei Jahre, 1947 waren sie weg. Aber als sie hier waren, haben sie uns zugesetzt. Wenn ein Russe die Straße entlang ging und jemanden traf, der mit dem Fahrrad fuhr, nahm er sich das Rad und fuhr weiter, und den anderen ließ er stehen, und er hatte nicht das Recht, was zu sagen. Sie waren mit Waffe unterwegs: „Wenn dir das nicht gefällt, gibt’s einen Kopfschuss.“ Das war ihr Urteil. So waren die Russen, so erinnere ich mich an sie. Die Russen gingen mit den Deutschen sehr schlecht um, geradezu mörderisch. Die Deutschen haben sich versteckt. Wenn sie sahen, dass ein Russe auf der Straße geht, flüchteten sie, irgendwo in Gebäuden haben sie sich versteckt, im Gebüsch haben sie sich versteckt, um nicht von Angesicht zu Angesicht auf einen Russen zu treffen, denn sie ließen sie nicht in Ruhe. Die Behörden hatten deswegen Schwierigkeiten, und die Russen waren sehr überheblich, sehr ungezogen. Sie wollten nicht nachgeben, so dass die Verwaltungsbehörden oft bei der militärischen Führung intervenieren mussten, um sie hier zu beruhigen. Es gab sogar einen Fall, dass ein Offizier einen Gefreiten umbrachte, weil jener übers Land ging und auf Leute schoss. Als es zur Repatriierung kam, glaubte niemand, dass das für immer sein wird, weder da im Osten, noch hier. Es war kein Ende von diesem exodus der Kriegszeit in Sicht, dieser Rache einer Nation an einer anderen. Viele Menschen glaubten, dass das nur eine Pause ist, um die Menschen zu beruhigen und mit den Kriegen aufzuhören. Als wir herherkamen, gab es wohl zwei Jahre lang das Gerücht, dass wir hier nicht lange bleiben, einige Monate, ein Jahr, höchstens zwei, und dann zurück fahren gen Osten. Dort im Osten war das gleiche Gerücht, meine Frau erzählte das oft, es war das gleiche, dass sie hier ein paar Monate bleiben, fahren hierher und zurück. Manche behielten sogar ihr Hab und Gut dort, um etwas zu haben, wohin man zurückkehren kann. Nach dem Kriegen kamen Lehrer aus den weißrussisch-litauischen Ostgebieten hierher. Sie waren sehr gute Lehrer, das muss man sagen, aber sie brachten nur Broschüren mit. Keine Hefte, keine Bücher, nichts, nur das, was sie selbst vermitteln konnten, mündlich. Es gab nichts, worauf man schreiben konnte, es gab nur Packpapier für Glas. Und wenn man aus einem Kopierstift Tinte machte, dann war sie zu dünn. Eine Feder konnte nach der Wiederherstellung mehrmals schreiben, man musste eine normale Feder krümmen, aufrichten, so dass man mit ihr schreiben konnte, denn wenn irgendwo etwas spritzte, war sofort ein Fleck rundherum. Und Glaspackpapier hat die Eigenart, dass ein Titenkleks zu einem Seestern ausläuft. So sahen die ersten Monate nach dem Krieg aus. Es gab keine Karte, keine Schulbücher, keine Hefte, überhaupt nichts. Deutsche Sachen waren natürlich noch da, die gab es, aber leere Hefte und Schulbücher gab es nicht, auch keine deutschen. 1949, gleich nach der Vermessung, begann die Anwerbung für die Kolchose. Im Spätherbst 1949, da war die Kolchose hier schon gegründet, in Szklana Huta (Glashütte), und sie drängten uns inständig zur Kolchose. Wer nicht gehen wollte, dem nahmen sie alle größeren Pferdegerätschaften weg: Motoren, Pflüge, Eggen, Dreschmaschinen. Sie nahmen alles und schuffen eine kommunale Maschinenstelle, und man musste zahlen, wenn man sie sich zur Bestellung auslieh. Später, 1954, gaen sie die Maschinen zurück, aber da waren die Maschinen schon kaputt und nicht mehr zu gebrauchen. Wer sich nicht der Kolchose anschließen wollte, der bekam in der Kolchose keine Maschinen, und man hatte nichts, womit man die Felder bestellen konnte. Außerdem gab es politische Verfolgung. Abgesehen davon, dass die Kinder von denen, die nicht zur Kolchose gehörten, an keiner Schule angenommen wurden, gab es Verfolgungen in Form von verschiedenen Verhören: von der Staatsanwalt oder der Miliz. In welchen Gesundheitszustand man aus diesen Verhören heraus kam, war verschieden. Jeglicher Einkauf in Geschäften war eingeschränkt. 1951 wurde das Dorf an den Rundfunk angeschlossen. Das Radio und der Verstärker standen beim Buchhalter der Kolchose, und über das Dorf verteilt waren Lautsprecher. In jedem Haus musste ein Lautsprecher sein. Jeder einzelne Landwirt musste einen Lautsprecher haben, vor allem die, die der Kolchose nicht angehörten, mussten einen Lautsprecher bei sich haben und alle Meldungen, die durchgegeben wurden, hören. Alle musste man sich anhören, damit man auf der Versammlung, wenn man hingeht, weiß, worüber gesprochen wurde. Und jede Woche war mindestens eine Agitationsversammlung für die Kolchose. Bei der Versammlung fragte der Sprecher, was war, was gesagt wurde. Wenn jemand es nicht wusste, dann war er inoffiziell zum Verhör zur Milizwache geladen.
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